Interview mit Tim Nowak

Im Rahmen unseres Projektes war es uns nun möglich ein Interview mit dem Zehnkämpfer Tim Nowak zu führen. Hört euch gerne das gesamte Interview im eingebetteten Player an oder lest euch das gekürzte Interview durch.

Wir: Wie trainierst du während der aktuellen Lage, auch mit Blick auf Tokyo 2021?

Nowak: Ist natürlich alles schwierig zurzeit. Ab dem Moment, wo klar war, dass Olympia 2020 verschoben wird, haben wir auch mit unserem Trainer gequatscht und, seit ich vor zwei Wochen aus dem Trainingslager gekommen bin, haben wir im Endeffekt nicht mehr trainieren können. Unsere Trainingsstätten waren sofort gesperrt und wir hatten auch sozusagen ein Versammlungsverbot, also dass wir nicht mehr zusammen trainieren dürfen. Wir haben die erste Woche nach dem Trainingslager dann so ein bisschen als Regenerationswoche genutzt, haben uns ein bisschen selbstständig bewegt und dann seit dieser Woche einen Individualtrainingsplan bekommen, den wir überall machen können. Also ich habe dann zum Beispiel auf Radwegen und im Wald trainiert, wo ich dann abgeschieden bin und nicht Gefahr laufe, Sozialkontakt zu haben und mich anzustecken oder andere anzustecken. Es ist natürlich ein sehr lauflastiges Programm, mit vielen Minutenläufen, mit Sprüngen, also eigentlich allem, was man ohne Equipment machen kann. Aber ja, die Trainingsstätten sind komplett gesperrt und Trainingsgruppen nicht möglich.

Wir: Okay. Und wie bist du eigentlich zum Zehnkampf gekommen?

Nowak: Also ich habe als Kind sehr viele Sportarten gemacht, ich habe Fußball gespielt, ich bin geschwommen, ich habe wirklich alles mal ausprobiert und mit elf/zwölf bin ich über so einen Stadtlauf zur Leichtathletik gekommen. Das war halt so ein klassischer Stadtlauf und da war ich dann direkt gut und so bin ich über meine Schwester in einen Leichtathletikverein gekommen; zur LG Hohenlohe. Und die haben halt schon immer dieses Credo verfolgt, dass man im Schüleralter alles trainieren muss und dann gut ausgebildet ist. Dann habe ich eben alle Disziplinen gemacht, habe Vierkampf, habe Fünfkampf gemacht und bin dann ganz klassisch hochgegangen, bei mir gab es damals auch noch den Achtkampf, den ich gemacht habe, und dann ab der U18 den Zehnkampf. Also ich war schon immer Mehrkämpfer, aber in meiner Jugend war ich auch sehr gut über die Hürden. Ich war dreimal Deutscher Meister im Hürdenlauf und da haben dann immer schon ein paar Leute gesagt, „Willst du dich nicht auf Hürden spezialisieren?“, aber das war für mich eigentlich nie wirklich eine Option. Von daher bin ich eigentlich eingefleischter Zehnkämpfer und Mehrkämpfer, seit ich mit der Leichtathletik angefangen habe.

Wir: Eben haben wir ja schon gehört, wie das Training während Corona läuft. Aber wie ist das normalerweise, also wie oft die Woche trainierst du sonst?

Nowak: Im Normalfall trainieren wir je nach Phase acht bis zwölf Einheiten die Woche. Wenn wir natürlich wettkampfnah sind, trainieren wir nur einmal am Tag im Sommer und dann halt hoch intensiv, und im Winter, wenn wir dann ein sehr umfangreiches Training haben, trainieren wir fast jeden Tag zweimal und kommen dann eben auf zwölf Einheiten die Woche. Sonntags ist immer frei. Im Schnitt fahren wir immer so einen zwei-eins Rhythmus. Also Montag zwei Einheiten, Dienstag eine Einheit, Mittwoch zwei, Donnerstag eine und so weiter. Eine Trainingseinheit hat grob gesagt immer mindestens zwei große Bausteine. Also entweder einen Technikbauteil und eine spezifische Kraft oder zwei Disziplinen. Also man macht immer irgendwie zwei große Sachen. Eine Einheit dauert so ungefähr zweieinhalb bis drei Stunden.

Wir: Du hast ja jetzt schon gesagt, dass ihr manchmal zwei Disziplinen an einem Tag trainiert. Wie sieht das generell so mit eurem Training aus, also wie schafft ihr es, ein Gleichgewicht zwischen den Disziplinen zu bekommen?

Nowak: Das ist jetzt schwierig, allgemein zu sagen. Das ist für jeden Athleten unterschiedlich. Es hängt vor allem auch davon ab, wie lange man schon Zehnkampf macht. Wenn man noch relativ jung ist, muss man vor allem sehr viel technische Ausbildung machen. Je älter man wird, desto routinierter ist man ja eigentlich und da ist das Einzige, was dann noch fehlt, diese Form zu kriegen. Da macht man dann also sehr viel konditionelles Training, Kraft, Schnellkraft, und Läufe. Du musst halt gucken, was deine Stärken und Schwächen sind. Dann musst du gucken, wie viel du trainieren musst, damit deine Stärken deine Stärken bleiben und deine Schwächen besser werden. Da muss jeder seinen Mittelweg finden. Also es gibt so ein oder zwei Schlüsseldisziplinen, die musst du immer machen, zum Beispiel Hürdenlauf und Sprint. Die musst du immer zwei oder dreimal die Woche machen, weil sie zu wichtig sind, als dass du sie vernachlässigen könntest. Es gibt aber auch Disziplinen, wie zum Beispiel den Hochsprung, die sehr belastend für die Gelenke sind. Wenn man da technisch sicher ist, reicht es, die zwei oder dreimal alle paar Wochen zu machen. Also das ist sehr individuell und kann auch von Jahr zu Jahr anders sein. Wir haben zum Beispiel manchmal einen Winter mit Schwerpunkt Diskus und Kugel, dann haben wir mal einen Stabhochschwerpunkt oder einen Laufschwerpunkt. Also wichtig ist, dass man immer Sprint und Hürden trainiert und eigentlich auch Diskus. Aber es gibt nicht diesen einen Weg, da muss man sich individuell mit seinem Trainer absprechen und auch gucken, was für ein Typ man ist.

Wir: Bei so viel Training, gibt es da auch Tage, an denen du nicht so motiviert bist, und was machst du da, um dich zu motivieren?

Nowak: Natürlich gibt es Tage, an denen man eher platt ist und man nicht darauf brennt, sich noch mehr runterzuhauen, gerade wenn eine harte Einheit ansteht. Aber ich mache jetzt Leistungssport schon seit ich 15/16 war, und da habe ich auch schon fünf bis sechsmal die Woche trainiert, also eigentlich jeden Tag, deswegen ist es für mich selbstverständlich zu trainieren und deshalb ist da gar nicht so die Frage nach der Motivation, weil es einfach so selbstverständlich für mich ist, jeden Tag zu trainieren. Aber klar, man hat schwierige Einheiten, in denen nichts läuft. Gerade im Zehnkampf kann es sein, dass du beim Kugelstoßen und bei den Würfen in einer geilen Form bist, und dann machst du Stabhochsprung und es läuft gar nichts. Also du hast im Zehnkampf viel mehr Sachen, die schlecht laufen können, aber auch andersherum viel mehr Sachen, die gut laufen können. Zum Beispiel kann es sein, dass du eigentlich schlecht in Form bist, aber dann triffst Du mal die Kugel gut. Aber dadurch, dass man auch immer auf etwas hintrainiert, funktioniert das mit der Motivation eigentlich ganz gut und da macht es dann auch nichts, mal diese schlechten Tage mitzunehmen.

Wir: Durch diese Motivation kommt man ja auch an Erfolge. Was siehst du als deinen persönlich größten Erfolg an?

Nowak: Also eigentlich zwei Wettkämpfe, 2014, bei der Juniorenweltmeisterschaft, als ich die Bronzemedaille gewonnen habe, weil das einfach ein riesiger und sehr starker Wettkampf war. Da waren wir mit Gold, Silber, Bronze alle bei ungefähr 8.000 Punkten. Und damals, vor Niklas Kauls Zeiten, war es krass, wenn jemand in der U20 über 8.000 Punkte gemacht hat. Außerdem war das meine zweite Juniorenweltmeisterschaft, und da eine internationale Medaille zu gewinnen, das war so mein erster großer Erfolg und für mich der Einstieg in den wirklichen Profisport. Das war ein extrem emotionaler Wettkampf. Und sonst war sicherlich mein größter Erfolg die WM in Doha. Auch wenn es jetzt nominal „nur“ der 10. Platz war, war es gerade für mich nach meiner Schulterverletzung, wo es auch total auf der Kippe stand, ob ich mitmachen kann, ein riesen Erfolg, da überhaupt teilzunehmen und dann noch unter diesen schwierigen Bedingungen, mit den späten Wettkämpfen und dem heißen Wetter, einen tollen Zehnkampf abzuliefern und trotz der Schulter über 8.000 Punkte zu machen. Das war schon ein großer Erfolg und es war auch einfach ein toller Wettkampf drum herum, mit dem Sieg vom Niklas und einfach ein krasses Erlebnis.

Tim Nowak beim Stabhochsprung

Wir: Wie schaffst du es denn, in den wichtigen Momenten fokussiert zu sein und dann auch deine Leistung abzurufen?

Nowak: Das ist eine gute Frage, ich würde sie euch jetzt ganz gerne mit einem Ritual oder so beantworten, aber das kann ich nicht. Das waren tatsächlich auch für mich, gerade in den ersten Jahren, Probleme von mir, dass ich meine Leistung einfach nicht abrufen konnte und mentale Blockaden hatte. Das Problem ist, die Sachen, die ich da jetzt sagen kann, das sind: Du musst locker bleiben, du musst dich fokussieren und du musst dir einzelne technische Bausteine raussuchen, die dir weiterhelfen. Mit Teil eins, „locker bleiben“, kommt schon das erste Problem. Ich habe mich mit Sportpsychologen zwei Jahre eigentlich nur darauf fokussiert, lockerer zu bleiben, und habe es nicht geschafft. Es ist halt das eine, sich zu sagen, ich gehe jetzt locker an diesen Wettkampf ran, und auch in den Situationen kann man sich so viel sagen, wie man will. Wenn man diesen intrinsischen Druck hat, dann kriegt man das nicht so einfach raus. Das ist sicherlich einer der wichtigsten Aspekte des Leistungssports. Gerade auch im Zehnkampf, weil die mentale Belastung da über einen längeren Zeitraum anhält, weil man da auch mehr Möglichkeiten hat, was alles schief gehen kann. Das ist auch das, was den Zehnkampf ausmacht. Dieser Wechsel aus Anspannung und Entspannung, dieses immer wieder in den Ring gehen. Da gibt es nicht diesen einen Lauf, der alles zählt, was sicherlich eine riesige mentale Belastung und Herausforderung ist, aber wir haben diese Situation in zehn Disziplinen in vielen Versuchen. Wenn man sich da mal überlegt, dass man 10.000 Dikuswürfe in seinem Leben gemacht hat und jetzt dieser eine weiter als die 10.000 davor sein muss, dann ist das natürlich das, worauf es ankommt, die mentale Einstellung. Und diesen Trick kann ich euch leider nicht verraten, weil ich ihn selbst noch nicht gefunden habe. Man muss schon mit einer gewissen Anspannung und Nervosität antreten, sonst funktioniert das gar nicht und da muss man es dann noch irgendwie schaffen, locker zu bleiben. Also ich glaube, dass mit dem Fokussieren ist super leicht gesagt, aber sich dann wirklich im Wettkampf fokussieren zu können, das ist schon eine Herausforderung. Aber im Endeffekt sind es diese drei Sachen, also Fokus haben, locker bleiben und spezifisch für jede Disziplin Bausteine haben, auf die ich mich dann konzentriere.

Wir: Du hast jetzt auch schon selbst von Druck gesprochen, ist das eher ein innerer Druck oder kommt der auch durch Einflüsse von außen, also zum Beispiel durch Medien?

Nowak: Vorne weg, ich bin fest der Meinung, dass der größte Druck von innen kommt. Von Medien würde ich jetzt überhaupt nicht sagen, das waren eher so existenzielle Fragen, also, dass ich zum Beispiel in meinen schlechten Jahren darüber nachgedacht habe oder darüber nachdenken musste, wie ich das finanziell mache. Was ist, wenn ich aus dem Bundeskader fliege? Was ist, wenn ich aus der Förderung fliege? Und das sind natürlich Drucksituationen, aber das war trotzdem immer total überschattet von dem Anspruch, den ich an mich selbst hatte. Also ich würde sagen, dass bei mir auf jeden Fall der intrinsische Druck höher ist als alles um mich herum.

Wir: Okay, kommen wir nochmal zu den Disziplinen. Was ist so deine Lieblingsdisziplin oder deine Hassdisziplin und warum?

Nowak: Also in der Jugend war meine Lieblingsdisziplin immer der Hürdenlauf. Am meisten Spaß habe ich beim Stabhochsprung. Meine beste Disziplin ist aber eigentlich dieses Jahr der 1500-Meter Lauf gewesen. Stabhochsprung ist eigentlich auch so eine kleine Hassliebe, weil ich da auch oftmals technische Probleme habe. Diskuswurf ist eigentlich auch eine meiner großen Lieblingsdisziplinen, weil ich da einfach ein Feeling habe und auch gut bin. Hassdisziplinen habe ich so jetzt eigentlich keine, auch nicht den klassischen 1500-Meter-Lauf. Reporter gehen oft davon aus, dass der 1500-Meter-Lauf die Hassdisziplin ist. Aber ich finde, dass ist die völlig falsche Herangehensweise, weil der Lauf genauso zum Zehnkampf dazu gehört. Das ist der Zehnkampf. Auch der 400 Meter Lauf. Ohne den wäre es kein Zehnkampf, dann wäre es das nicht wert. Klar fühlst du dich nach dem 400er Scheiße und klar fühlst du dich während des 1500ers Scheiße, wenn es schlecht läuft, aber das gehört einfach dazu. Meine schlechteste Disziplin ist der Sprint, da habe ich Probleme, die Leistung zu bringen, und den mag ich von daher am wenigsten, aber auch das ist keine Hassdisziplin.

Wir: Hast du vor einem Wettkampf oder auch vor den einzelnen Disziplinen ein bestimmtes Ritual?

Nowak: Also ich habe natürlich einen gewissen Rhythmus vor einem Wettkampf, den ich brauche. Was ich beim Auftakt mache, wie ich ins Bett gehe, wie ich esse, wie ich morgens aufstehe, was für Musik ich höre, wie ich mich pushe, ab wann ich mich pushe. Denn ich würde sagen, ich bleibe ziemlich lange vor dem Wettkampf sehr ruhig und bin auch total entspannt. Aber dann mit dem Einlaufen geht es richtig ab. Also dann geht komplett der Puls hoch und ich komme in diesen Wettkampfmodus. Aber so ein klassisches Ritual habe ich jetzt nicht, außer vielleicht das Gespräch mit meinem Trainer vor dem Wettkampf.

Wir: Der Zehnkampf verteilt sich ja über zwei Tage, was machst du da in der Zeit zwischen den Disziplinen?

Nowak: Die Zeit zwischen den Disziplinen kommt einem als Zuschauer immer extrem lang vor. Als aktiver Athlet kann ich euch sagen, dass diese Zeit verschwindend gering ist. Also es kommt natürlich extrem auf den Wettkampf und den Zeitplan an, aber meistens hast du gar nicht die Zeit, irgendetwas zu tun. Es gibt selten in Zehnkämpfen so richtig Freizeit. Wenn es das doch gibt, bei Mittagspausen zum Beispiel, dann rede ich viel mit anderen Athleten, meinem Trainer oder meinen Physiotherapeuten. Es gibt auch Athleten, die zwischendurch mal für 15 Minuten schlafen, aber das mache ich eigentlich nie, außer wir haben eine richtig lange Mittagspause. Also ich esse, höre Musik, Physiotherapie und ein bisschen Quatschen.

Wir: Gibt es auch etwas, dass du uns jungen Athleten mitgeben möchtest?

Nowak: Leichtathletik ist ein geiler Sport und, obwohl es ein Einzelsport ist, eine Sportart, bei der es extrem auf Zusammenhalt ankommt, auf das Verhalten im Wettkampf. Und deswegen ist es, denke ich, eine großartige Sportart, um sie in der Gruppe zu betreiben und Spaß zu haben. Und selbst, wenn man nicht im Leistungsbereich ist, ist es trotzdem so geil, dass du immer an dir arbeiten kannst. Es ist geil zum Zuschauen. Ich finde, es macht Spaß, diese Bewegungsherausforderung in der Leichtathletik zu haben, und deswegen wäre meine Nachricht an euch junge Athleten, dass euch bewusst wird, was Leichtathletik für eine tolle Sportart ist, auch wenn wir viele Nachteile haben, dass man dran bleibt, es genießt, locker Spaß hat, aber eben auch sehr ehrgeizig an sich arbeitet.

Wir: Vielen Dank und bleib gesund.

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